Back Down to Earth


[Buchrezension] Die Anatomie der Nacht - Jenn Bennett

Seit Schuljahresende im Mai waren überall in San Francisco goldene Graffiti aufgetaucht. Einzelne Wörter in riesigen goldenen Buchstaben auf Brücken und Häuserfronten. Keine halbleserlichen, zornigen Tags von irgendwelchen Gangs, sondern perfekt ausgeführte Schriftzüge von jemandem mit Talent und Ahnung.
Konnte dieser Jemand Jack sein? War er der berüchtigte Sprayer, der wegen Sachbeschädigung gesucht wurde?

INHALT
Bex ist begeistert von der Anatomie des Menschen und zeichnet daher leidenschaftlich gern Körper. Doch aufgrund dieser Vorliebe wird sie von anderen auch größtenteils gemieden - bis sie eines Nachts Jack begegnet, einem schönen und geheimnisvollen jungen Mann, der ihr das Gefühl gibt, etwas ganz Besonderes zu sein. Aber er ist der Sprayer, der in San Francisco von der Polizei gesucht wird und daher eigentlich denkbar schlechter Umgang für Bex. Nur ist die Anziehungskraft zwischen ihnen viel zu stark, als dass sie sich davon würde abschrecken lassen...

MEINE MEINUNG
"Die Anatomie der Nacht" ist ein Roman, der sich zwei Charaktere mit spannenden Hobbys zu eigen gemacht hat: Bex, fasziniert vom körperlichen Aufbau der Menschen, und Jack, stadtbekannter Sprayer. Daneben werden Themen wie psychische Probleme, familiäre Krisen und Vertrauen behandelt, die Romantik steht dabei jedoch größtenteils im Vordergrund. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Protagonistin, die Sprache ist dabei jugendlich und flüssig, teilweise aber auch geradezu schmalzig.

Bex ist eine recht sympathische Figur, die weiß, was sie will und ziemlich genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft hat. Dafür, dass sie jedoch sehr selbstständig ist, wird sie in Jacks Anwesenheit größtenteils liebestoll und - man kann es nicht anders ausdrücken - regelrecht notgeil, was schnell an den Nerven zerrt. Jack ist mit seiner sanften, hilfsbereiten und liebevollen Art dafür ein sehr erfrischender männlicher Charakter, auch wenn er zwischenzeitlich zum Kitsch neigt. Die Nebenfiguren sind überwiegend glaubwürdig gezeichnet, manche Wandlungen aber gehen zu schnell vonstatten und wirken gezwungen. Schade ist vor allem, dass es sich die Autorin beispielsweise mit den besten Freundinnen von Bex sehr einfach macht, indem sie sie einfach auf eine Reise schickt und so weniger Arbeit mit dem Charakterisieren hat.

Die ersten 100 Seiten des Romans sind überwiegend sehr anstrengend. Schon im ersten Kapitel lernt Bex Jack kennen und auch, wenn mir ein schneller Einstieg ohne großes Vorgeplänkel grundsätzlich gefällt, nervte mich die fast sofortige Liebe. Die beiden haben eine niedliche Chemie, seine unfassbare Schönheit und die unglaublichen Gefühle werden jedoch so oft betont, dass man es bald überhat - ganz abgesehen davon, dass die Protagonistin dennoch dauernd erwähnt, dass sie vergessen hat, wie klasse Jack doch aussieht, was nicht wirklich von großen Gefühlen zeugt. Nach diesen Kapiteln des Kitsches und der Sehnsucht wird sich dann jedoch zum Glück auf die eigentliche Story konzentriert: Bex' Arbeit an ihrer Anatomie-Zeichnung, die zu Problemen innerhalb ihrer Familie führt, und Jacks verbotenes Hobby, das einen ernsten Hintergrund hat.

Ab dieser Stelle gelingt es der Autorin sehr gut, einen an die Story zu fesseln. Nicht nur werden glaubwürdig familiäre Probleme geschildert, ebenso geht es auch um eine besondere psychische Störung, die differenziert und authentisch eingebracht wird und dem Buch eine sehr besondere Atmosphäre verleiht, vor allem, weil so einfühlsam damit umgegangen wird. Leider wirkt der Schluss dafür wieder viel zu einfach, weil alle Probleme auf die ein oder andere Weise gelöst werden - und das meistens wenig originell. Gerade die Bewältigung des Aspekts rund um die psychische Störung erscheint für die Ausmaße des Problems doch ein wenig unzureichend. Dafür überzeugen jedoch die Zukunftsaussichten der Protagonisten, und das gibt dann immerhin noch ein schönes Gefühl.

FAZIT
Jenn Bennetts "Die Anatomie der Nacht" kann dem Versprechen eines Romans rund um Kunst und Familie nur teilweise gerecht werden, weil sich die Autorin so stark auf die teils kitschige Liebesgeschichte konzentriert. Der Strang um Jacks Geheimnis ist glaubwürdig und einfühlsam, doch dafür wirkt das Ende wiederum sehr einfach. Vielleicht eher ein Werk für Fans von viel Romantik. Von mir gibt es dafür leider nur gute 2,5 Punkte. 


Titel: Die Anatomie der Nacht
Originaltitel: Night Owls
Reihe: Nein
Autor: Jenn Bennett
Übersetzer: Claudia Max
Verlag: Königskinder
Seitenzahl: 352 Seiten
ISBN-13: 978-3-551-56011-7

  6 Kommentare:

  1. Wie schade, dass dir das Buch nicht so gut gefallen hat - dabei sieht es doch so toll aus!
    Wobei ich sagen muss,dass ich auf Kitsch ja schon ein bisschen stehe und ich mag sehr gern Liebesbücher, also...vermutlich kaufe ich es trotzdem. Mich interessiert jetzt auch Jacks Geheimnis, da hast du mich voll neugierig gemacht :D

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    1. Wenn dir Kitsch gefällt, wirst du hier definitiv deine Freude haben - und Jacks Geheimnis lohnt sich tatsächlich auch. Solltest du es lesen, wünsche ich dir viel Spaß dabei ;)

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  2. Oh, na schade :/ Das Buch wollte ich eigentlich auch mal lesen... Vor allem wegen der psychischen Störung. Ist ja voll mein Fachgebiet... ok, schreib es einfach mal auf die Liste, wenn du es behältst. Wir werden sehen...^^

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    1. Ich kenne mich durch unser letztes PäPs-Thema ja auch mit psychischen Störungen aus [ein wenig jedenfalls] und dieser Aspekt wurde auch wirklich gut umgesetzt. Nur ist die Liebesgeschichte halt einfach schrecklich :D
      Aber ja, ich schreibe es auf, mal sehen, was du dann sagst ;)

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  3. Dia dhuit, Sonne.
    Fokussierte Notgeilheit ist entweder Altherrenphantasie, oder eine Angelegenheit für die Phsychologie. Hier scheint sie bei der Protagonistin ja garadezu manisch fixiert zu sein; ein Adonis hechelt durch ihr Leben, offenbar.
    Ob das Lektorat die ersten 100 Seiten besser ad acta gelegt hätte?!

    Bex macht anatomische Zeichnungen & hat deswegen Probleme in the house!? Wiehert da die WASP-Verklemmtheit schnaubend auf?

    Das glückliche Ende aller Kopfprobleme findet sich dann nicht etwa in bunten Pillen... :-)

    Alles shiny, Captain!

    bonté

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    1. Also manisch fixiert ist die Protagonistin nicht, ganz so schlimm steht es mit ihrer Lüsternheit tatsächlich nicht - aber ihr Hecheln [das ist schon ganz gut getroffen] wirkt doch reichlich pubertär ;)

      Hauptsächlich hat sie die Probleme mit der Familie dadurch, dass sie Leichen zeichnet aber ja, irgendwo könnte man das sicherlich auch als Verklemmtheit bezeichnen :D

      Und nein - es gab statt Pillen eine wunderbare Halb-Heilung durch die Macht der Liebe. Hach ;)

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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